von Gunnar Heinsohn, Otto SteigerInhaltsangabe und Besprechung, Gisa, Januar 2011 —
Ursprünglich wurde im Altertum und im Mittelalter zwischen Zauberei und Medizin nicht unterschieden. Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass „Zauberei“ nichts anderes war als Psychologie am Kranken. Da sich die Menschen über die Funktionsabläufe beim Verabreichen von Kräutern und Tees sowie deren Wirkstoffen nicht im Klaren waren, wurden Nebenwirkungen oft Geistern zugeschrieben. Zeitweilig kam es sicherlich auch beabsichtigt zu Rauschzuständen, die u.a. Schmerzen unterdrücken konnten, ihrerseits dann Wahnzustände provozierten, so dass die Betroffenen glaubten zu fliegen. In jedem Fall lieferten die Heilkundigen eine gute „Show“ ab und machten auf ihre Patienten entsprechenden Eindruck, der auf seine Weise sicherlich auch einen nicht unerheblichen Teil der Heilwirkung ausübte.
Neben den Beratung / Handhabung bei Verletzungen und Unfällen (meist Job des Feldschers, also des „Unfallchirurgen“ bei Kriegsgemetzeln) bezog sich Medizin aber in erster Linie auf den gynäkologischen Bereich der Unterbindung von Schwangerschaften, Abtreibung, der Begleitung während einer Schwangerschaft und der Geburt. Damit waren vor allen Dingen weise Frauen in die Heilkunde involviert. Sowohl im Altertum als auch im Mittelalter wurde dieser Berufsbereich genau innerhalb dieser Wirkungsgebiete verstanden. Kinder bekam man dann, wenn man die Existenzgrundlage für eine Familie sichern konnte. Ohne diesen Hintergrund verzichteten die Menschen auf irgendeine Art der Eheschließung und beließen es bei zeitweiligen sexuellen Kontakten, die kraft der Kenntnis der weisen Frauen auch folgenlos blieben. Das heißt, soweit gesellschaftliche oder staatliche Regierungen keine Vorgaben für eine Eheverpflichtung erließen (spätes röm. Reich), unterlag die Anzahl des Nachwuchses der Eigenverantwortlichkeit. Es waren nach alten Aufzeichnungen etwa 150 unterschiedliche Mittel zur Verhütung bekannt.
Im Allgemeinen vermehrten sich die Menschen im Verhältnis 1:1, da damit der Erhalt eigenen Erwerbs für Landwirtschaft oder andere Berufsbereiche gewährleistet war. Weitere Söhne und Töchter hätten nur für Unfrieden und verminderten Lebensunterhalt gesorgt. Sexuelle Bedürfnisse wurden auch von Huren gedeckt, die hoch angesehen waren und von der Gemeinde / Stadt einmal jährlich mit Kleidung u.a. ausgestattet wurden, wenn der herrschende Landesfürst zu Besuch kam.
Mit Ausbruch der Pest im 14. Jahrhundert reduzierte sich die Gesamtbevölkerung Europas von 71 Mill. auf etwa 45 Mill. Menschen. Damit konnte der verbliebene Teil zwar noch für den Eigenbedarf autark die Versorgung aufrechterhalten, nicht aber für die Herren der Ländereien. So drohten Aufstände der Landbevölkerung als Antwort auf Repressalien und Reduktion von Reichtum und Einnahmequellen der Herren. Hierbei muss man im Auge behalten, dass über 70 % des Grundbesitzes und Ackerlandes Eigentum kirchlicher Einrichtungen und Klöster war. Diese sahen die Nicht-Bewirtschaftung und somit den Ausfall ihrer Einnahmen auf sich zukommen. Es musste etwas unternommen werden, das die praktizierte Geburtenkontrolle durch die Bevölkerung selbst unterband. Nur viele „produzierte“ Menschen konnten hier Abhilfe schaffen.
Auf der Basis der päpstlichen Hexenbulle von 1484 schufen die Dominikaner Sprenger und Institorius 1487 den Hexenhammer, der betont und speziell die Ausrottung der Hexen zum Ziel hatte, während es dafür als unwichtig galt, ob die betroffenen Opfer Ketzerinnen wären. Ketzer konnten begnadigt werden, nicht so Hexen. Diese waren gleichzusetzen mit „weisen Frauen“ und somit mit Hebammen, die Handhabung und Rezepte sowohl zur Empfängnisverhütung als auch zur Abtreibung kannten und weitergaben. Dies ist im Hexenhammer expressis verbis benannt. Sollten auch Männer über dieses Wissen verfügen, so seien sie auch auszurotten, ohne Aussicht auf irgendeine Form der Begnadigung. Die „femina saga“ (weise Frau) ist gezielt als Opfer ausgemacht, ebenso wie ihr männliches Pendant, der „magus“ (weiser Mann) oder „incanator“ (kräuterkundiger Beschwörer). Damit ist eines klar: es ging nicht gegen das weibliche Geschlecht sondern gegen das Wissen an sich, das sich mit Heilkunde und Geburtenkontrolle befasste.
Die 7fache Hexerei bestand aus:
- Ehebruch
- Männer zeugungsunfähig zu machen
- Kastration und Sterilisation
- Empfängnisverhütung
- Homosexualität und Sodomie
- Abtreibung
- Kindesmord (gemeint ist vor allem der Säugling)
Ausdrücklich wird auch darauf hingewiesen, dass es besser sei, zahlreiche unschuldige Frauen zu verbrennen, als eine einzige Hebamme zu übersehen.
Diese gerichtliche Vorgehensweise (auch die weltlichen Fürsten entbehrten eine ausreichende Anzahl von Leibeigenen, Dienerschaft etc.) wurde mit der Bamberger Reichshalsgerichtsordnung von 1507 mehr oder weniger 1:1 auf den weltlichen Bereich übernommen.
Beide, Kirche und Staat, bemühten sich, die Geburtenkontrolle als Aufsichtsorgan zu übernehmen und auszusetzen. Hebammen wurden zu Spitzeln der Herrschaftsorgane, um zu überprüfen, ob eine Jungfrau tatsächlich kein Kind bekommen bzw. abgetrieben hätte etc.
Obendrein wurden sie gezwungen, sich grundsätzlich einem Arzt (der keine Ahnung davon hatte und auf das Wissen der Hebamme angewiesen war) zu unterstellen. Ausgewählt wurden besonders Frauen, die einen einwandfreien Ruf hatten und bereits „in die Jahre“ gekommen waren. Es war ihnen verboten, zur Erleichterung der Schwangerschaft und der Geburt Mittel oder Maßnahmen einzusetzen, andernfalls waren sie nach wie vor mit dem Tode bedroht. In protestantischen Ländern (Schweden) wurden sie dem Pastor unterstellt, der Geburtenregister anlegen musste, auch über Todgeburten, um zu verhindern, dass eine Frau ein Kind bekam, das nicht gewollt war. So bemühten sich Kirche und Staat, jede Empfängnis zu ermöglichen und jede Abtreibung zu verhindern. Freie Hebammen waren strikt verboten.
Im gleichen Atemzug wurde unter dem Vorwand, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, Apotheken eingerichtet und dem nicht im System eingebundenen Mitbürger jede Arzneimittelzubereitung und –vertrieb zu verbieten. Hier wurden dann auch die Zigeuner und „Fahrenden“ drunter verstanden, die sich auf andere Weise nicht kontrollieren ließen. Wer gegen diese amtlichen Anordnungen verstieß, wurde nach 2maliger Abmahnung (1: Verletzung des Ohrläppchens, 2: abgeschnittenes Ohr) zum Tode verurteilt und auf dem Marktplatz hingerichtet. Hier wurde amtlich das erste Mal vom „Quacksalber“ gesprochen. Dafür war es nach wie vor gleichgültig, ob es sich um Männer oder Frauen handelte.
Auf diese Weise gelangte jede medizinische Versorgung in männliche Hand und unter staatlich-kirchliche Überwachung. Europaweit wurden diese Maßnahmen ergriffen. Die bis dahin fehlenden Ärzte wurden in kirchlichen Seminaren zu theoretischen Doctores ausgebildet, die von Heilfürsorge keinerlei Ahnung hatten. Anatomie am toten Körper war ihnen untersagt. Zu Pflanzen und Heilmitteln hatten sie keinen Zugang. So gelangten gravierende Maßnahmen wie Aderlass ganz in den Vordergrund ihrer Vorgehensweise und chemisch erzeugte Präparate fanden Eingang in die Medizin.