Jenseits des Horizontes 2

Gedankenbilder der vergangenen Tage zogen an ihr vorbei. Sie erinnerte sich an die Opernaufführung, die sie sich wenige Tage zuvor angeschaut hatte. Ihr kam die Stimme der Sopranistin in den Sinn, die die hohen Töne nicht wirklich getroffen hatte, weshalb Inge die Aufführung bereits nach dem 1. Akt wieder verlassen hatte. Oh ja, diese Oper einmal mit einer hervorragenden Stimme zu hören – darauf hätte sie Lust!

In dem Moment, in dem sie diesen Wunsch in sich spürte, befand sie sich im Opernhaus mitten in der Aufführung. Die Sänger und vor allem die Sängerin hatten fantastische Stimmen. Die Dame traf in der Koloratur jeden Ton genau und mit dem angenehmen Schmelz… – Inge genoss jeden Ton bis zum Ende des letzten Aktes. Sie stimmte in den frenetischen Applaus ein, der die Aufführung krönte. Dann lehnte sie sich zurück, zurück in die angenehme Dunkelheit und die anheimelnde Wärme.

‚Also, wenn ich könnte, wie ich wollte‘, sinnierte Inge, ‚dann wären die Niagarafälle eine Reise wert!‘ Im selben Moment befand sie sich auf dem Niagara, der sich dem Wasserfall näherte. Nein, nicht auf oder über dem Fluss sondern mittendrin. Sie spürte sich als Wassertropfen, der unter begeisterten anderen auf die Felskante zuströmte. Dann kam die Abbruchkante und unter lautem Geschrei stürzten sie sich hinunter, um unten tief in die bereits vorhandenen Wogen einzutauchen. Fantastisch, enorm, ungeheuer, faszinierend – oh, noch einmal – und sie befand sich wieder oben unter all den anderen, die sich auf die Fälle zustürzten. Wieder und wieder warf sie sich die Fälle hinunter und konnte gar nicht genug bekommen.

Ganz außer Atem ließ sich Inge in die Dunkelheit und Wärme zurück sinken. Immer wieder klang in ihren Ohren das Rauschen der Wassertropfen. Sie fühlte das sich Drehen und Kugeln durch die Luft. Sie schwamm im sich bildenden Wassernebel. Sie fühlte sich unendlich wohl.

Rosen – Inge sehnte sich nach Rosen, nach roten Rosen. Ein zauberhafter Duft erreichte ihre Wahrnehmung. Als sie die Augen öffnete, schwamm sie in einem unendlichen Meer roter Rosen. So weit ihr Auge reichte, wogten rote Rosen auf einem sonnenbestrahlten Feld. Jedes Blatt war ein einzigartiges Kunstwerk, das sie aus luftiger Höhe betrachtete. Am liebsten hätte sie all diese wunderbaren Blüten in ihre Arme geschlossen. Doch so zerbrechlich, wie diese Pflanzen wirkten, wagte sie es nicht. Sie konnte sich kaum satt sehen und so bummelte sie von Blüte zu Blüte durch die Unendlichkeit dieser Schöpfung.

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