Die ideale Gesellschaft, 8

Woher aber kamen diese Überfälle auf eine glückliche Zeit der Partnerschaft? Knapp vor der Zeit unserer historischen, also geschriebenen Geschichte muss es die ersten Überfälle von nomadisierenden Hirtenvölkern aus dem Nordosten des Eurasischen Kontinentes auf die westlichen Völker gegeben haben. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Kelch, das Horn und das Doppelhorn / Doppelaxt das Symbol der natürlichen Ordnung. Aus diesem Kelch[1] schöpfte die Große Mutter, um Leben zu spenden; sie gab ohne Ansehen der Person in ihrer Großzügigkeit. Sie erwartete gesunde Neugierde, auf dass die Menschen mit ihren Gaben wirtschaften lernten und einander liebten. Die Schlange war das Symbol der Weisheit und des Wissens um die Macht der Natur und der Zugehörigkeit aller Geschöpfe zu dieser Natur[2]. Nun aber herrschte das Schwert, das im Gegensatz zum Kelch nicht erschuf sondern tötete. Das Schwert, das in keiner Weise heilig war, um dann doch in die Hände von Erzengeln[3] gelegt zu werden, den mordlustigen Hirtengott vertretend. Nicht anders im griechischen, römischen oder arischen Götterhimmel, in denen ein Zeus, ein Jupiter oder ein Wotan/Odin herrschten unter Androhung von Gewalt und unter schamloser Ausnutzung der Macht. Götter, die von sich Einmaligkeit behaupteten (heutige Psychiater würden von einer „Profilneurose“ sprechen), keine anderen Götter neben sich duldeten (wahrscheinlich hätten sie den Vergleich scheuen müssen) und jedes Vergnügen, jede Erleichterung als gotteslästerlich verteufelten. So schmiedete Zeus den Prometheus an einen Felsen im Kaukasus, damit täglich ein Adler an seiner Leber nage, die nächtens wieder nachwuchs – also Leid für die patriarchale Ewigkeit! Der arme Prometheus hatte eine einzige Untat begangen: er hatte den Menschen das Feuer gebracht, ihnen das Leben also einfacher und gesünder gestaltet.

Wenn ich als Angehöriger eines reitenden Hirtenvolkes ohne Heimat, ohne Herd, ohne Mutter oder Liebe durch die Gegend jage, habe ich wahrscheinlich keine Möglichkeit, ein besseres Bild von der Welt zu gewinnen als das, die Natur habe sich gegen mich verschworen. Verbittert werde ich dann die Anlagen sesshafter Völker betrachten und sie einfach übernehmen wollen: warum sollten die es besser haben als ich? Einmal aber als Mörder unter die Menschen gegangen, muss ich aus der Not eine Tugend machen. Dann werde ich meine Taten zu Heldentaten wandeln und sie als Meisterleistung dramatisieren. Ich werde alles tun, um einen Rückfall in meine karge Ärmlichkeit zu verhindern. Wenn ich mir dann noch erfolgreich einreden kann (oder ein Priester spricht mir das Wort), mein Gott wäre nicht nur damit einverstanden, nein, er verlange von mir die Unterwerfung dieses sesshaften Volkes samt Brandschatzen und dem Mord an Männern, Frauen, Kindern und Alten, dann kann ich mir dabei sogar großartig vorkommen – die anderen sind somit dumm, weil sie sich nicht wehren konnten; dumm = böse, und der Bogen ist geritzt. – So geschehen unter Moses durch die Semiten[4] in Kanaan, 3. Buch Moses.


[1] Negativiert als Büchse der Pandora in die griechische Sage eingewoben.

[2] Negativiert als die Verführerin Evas, vom Baum der Erkenntnis zu naschen. Ebenso negativiert in der Figur Liliths (erste Frau Adams), die durch ihren verachtungswürdigen Lebenswandel, in dem sie mehrere hundert Kinder geboren haben sollte, die dann umgebracht wurden, als Schlange in das Paradies zurückkehrte, um Eva und damit auch Adam zu verführen. (Jüdischer Mythos)

[3] Gabriel verhindert die Rückkehr ins Paradies für Adam und Eva mit einem Schwert.

[4] Spätere Israeliten, das Land hieß später Israel

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