Diese „prähistorische[1]“ Clansfamilie war ein Verbund verbundener Menschen, die in großer Harmonie miteinander umgingen, Städte bauten, Kanalisationen anlegten, Bewässerungssysteme entwickelten und zu großer künstlerischer Leistung fähig waren. Wir haben inzwischen Städteanlagen ausgegraben, die bis zu 10.000 Einwohnern gehabt haben müssen. Der Zusammenhalt der großen Gruppen war durch die gemeinsame Religion gewährleistet, die sich auf die Große Göttin bezog, mit Mysterienfesten den Jahresrhythmus feierten und ihre Kultur, ihr Wissen und ihre Hoffnungen in Gesängen und Geschichten zum Ausdruck brachten. Sicherlich besaßen diese Kulturen bereits eine Zeichen- und eine Symbolschrift, da auch dafür inzwischen Belege gefunden wurden. Doch waren diese Menschen der festen Überzeugung, dass Heiliges Wissen von Mund zu Mund, von Generation zu Generation auf gelebte, wörtliche Wiedergabe aufgebaut sein muß, da dies jede Veränderung durch Unachtsamkeit ausschloß. Dies nur konnte der Großen Göttin entsprechen und wichtig sein.
Solange es in den Köpfen der Menschen keine Notwendigkeit für Krieg gibt, gibt es im übrigen auch keinen Grund, Geschichte aufzuschreiben, da dann das Leben fröhlich und rhythmisch durchs Jahr gleitet, ohne dass dies der schriftlichen Fixierung bedürfte. Erst wenn man seinen persönlichen Ruhm an die Nachkommen weitergeben will, muss man dies aufschreiben. Ansonsten reichen Berechnungsgrundlagen für eine gute Vorratswirtschaft, für Handel und Wandel. Wenn es keinen König und keine Königin gibt, deren Ruhm über die Grenzen des Landes hinaus bekannt werden soll, gibt es keinen Grund, irgendwelche „Ereignisse“ zu protokollieren. Bis auf die wenigen Tagebuch- und Fotoalbum-Besitzer schreibt auch bei uns niemand die persönlichen Ereignisse des Jahres auf.
Wir haben inzwischen auf der Insel Kreta Ausgrabungen gemacht, die beweisen, dass es dort in der Zeit vor den griechischen Stadtstaaten eine hochentwickelte Kultur gab. Diese basierte auf dem oben geschilderten System, dass wir inzwischen „matrilinear[2]“ und „matrilokal[3]“ nennen. Das Funktionieren eines solchen Systems basiert auf absoluter Partnerschaft aller ihrer Mitglieder. Jeder ist für jeden mitverantwortlich, jeder steht für die Gruppe ein, der er zugehört.
Dieses Kreta entspricht mit höchster Wahrscheinlichkeit dem Ort, der von Plato mehrere hundert Jahre später als „Atlantis“ geschildert wurde. Unsere Wissenschaft nennt es das minoische Kreta. Minos bedeutet der Stier. Die spätere Geschichtsfälschung durch die Griechen der Antike hat aus dem heiligen Tier der Göttin ein eingesperrtes Ungeheuer gemacht, gegen das Herakles im Rahmen seiner 12 Aufgaben zu kämpfen hatte . Dieses Ungeheuer soll alle Menschen umgebracht haben, die in sein Labyrinth gelangten und den Weg nicht mehr herausfanden. Die Verhältnisse dürften sehr viel anders gewesen sein.
Matrilineare Strukturen am Beispiel Kretas:
Laut griechischer Sage gelangte Theseus (der machtgierige Sohn des athenischen Stadtpatriarchen) nach Kreta. Dort fanden wie jedes Jahr Spiele statt: junge Männer und Frauen sprangen über anlaufende Stiere, indem sie sich mit den Händen über die Hörner der Tiere schwangen, um am anderen Ende von bereitstehenden Mitspielern aufgefangen zu werden. Diese Spiele fanden zur Ehre der Großen Göttin statt, die das Vorspiel zur Heiligen Hochzeit bildeten.
Gisa, Tarot der Weisen Frauen, „Die Kraft“Die Heilige Hochzeit war der Anfang der zeitlich auf vier Jahre begrenzten Ehe eines starken und erfolgreichen Mannes mit der Königin / Priesterin der Göttin. So war gewährleistet, dass kein Mann zu viele Befugnisse erlangte. Vielmehr konnte er sich in dieser Zeit vergnügen, Unterhaltung organisieren und in körperlicher Hinsicht interessante Leistungen vollbringen.
In diese Hohe Zeit hinein platzte Theseus mit einigen seiner Schiffe, bewaffnet und in der Absicht, hier erfolgreich Land und Leute erobern zu können. Die damalige Königin hieß vermutlich Ariadne. Die Mysterienspiele fanden in einer gesonderten Anlage statt, die dann auch das (Auswahl-)Zentrum für die Heilige Hochzeit sein würde. Hier im Zentrum tanzten Mädchen und Männer einen Reigen, der mit Bändern verbunden die einzelnen TänzerInnen zu vielen künstlerischen Figuren anordnete. In diesen Reigen versuchte nun Ariadne Theseus einzubinden, um ihm als Erfolg seines Eroberungsfeldzuges als Held der Heiligen Hochzeit zu feiern, denn sie wollte unblutig ein blutiges Geschäft beenden.
Irgendwie gelang Ariadne ihre List jedoch nicht. Teilweise sind die Strukturen des alten minoischen Reiches an das alte Athen gefallen und Ariadne wurde entführt, um dann vermutlich durch einen Mitkönig von einer der vorgelagerten Inseln gerettet zu werden. Doch die alte Ordnung war gestört, der athenische Einfluß wurde von Jahr zu Jahr stärker und die Minoer, die sich wegen ihres unkriegerischen Wesens nicht erfolgreich verteidigen konnten, versuchten durch eine Teilanpassung ihre Leben und ihre Umwelt zu retten. (Lit.: Mary Renault, Der Stier aus dem Meer, Knaur)
[1] Prä-historisch = vor-schriftlich. Verfehlte Annahme, diese Völker hätten keine Schrift besessen, weshalb es keine schriftliche Geschichtsschreibung gäbe. Sobald es jedoch Geschichtsschreibung gibt, so zeigt die Erfahrung, wird sie so geschrieben, dass der Sieger in einer Auseinandersetzung immer besonders gut wegkommt, während der Besiegte als der „Böse“ dargestellt wird.
[2] Matrilinear = mütterliche Linie, die Familie definiert sich über Namen und evtl. Totem / Zeichen über die mütterliche Linie
[3] matrilokal = mütterlicher Ort, der Standort / Aufenthaltsort der Familie definiert sich über den Ort der Mutter