Vorsicht Falle !

(Kabarett-Text 1984)

*

Stund‘ um Stunde, Tag für Tag

suche ich vergebens.

Immer wieder schau ich aus

nach dem Sinn des Lebens.

Umwelt, Mitwelt, Mensch und Mut

sind in weiter Ferne.

In Natur und Harmonie

lebt‘ ich ach so gerne.

.

Doch die Menschen, doch der Staat,

doch die Tradition

zwingt in Grenzen Dich und mich,

daß sich Müh‘ kaum lohnt.

Denn die Zeit vergessner Tage

schuf die heut‘gen Fakten,

die Dein Leben, Tag für Tag,

preßt in „Fall“ und Akten.

.

Nummern, Zahlen, Transparenz –

Leute mit und ohne

Ausweis, Nachweis: Vehemenz

nutzt Dir nicht die Bohne.

Bei dem Doktor bis Du „Fall“,

bei den Ämtern Akten,

Wirtschaftlich betrachtet sind

Zahlen harte Fakten.

.

Frag‘ Politiker einmal,

was sie Leben nennen,

und sie sagen Dir sogleich,

daß sie dieses kennen.

„Ja, mein Freund, das ist ganz leicht

für mich zu verstehen,

denn grad diesen Kernbereich

weiß ich zu bestehen!

.

Jeden Tag, da seh ich stündlich

Menschen stolz die Arbeit tun,

um nach arbeitsamem Leben

sich im Alter auszuruhn.“

Halt! – Du brachtest diese Frage

in ‘nem Wahlkampf an den Mann,

der – weil er die Stimme brauchte –

Dir nichts andres sagen kann.

Nimm das Radio, schalt es ein

– und dann wirst Du toben,

.

weil Du sang- und klanglos nun

wirst als Zahl verschoben.

Arbeitslos? „Nur zwei Millionen“,

sagt da Nürnberg nebenbei

und im Fernsehn glänzt leicht grinsend

Meister Frankes *) Konterfei.

.

Engagiert Dich Baum und Pflanze,

ziehst Du auf ‘ner Demo mit,

kommst ‘nem Panzer in die Quere,

gehst Du gleich ins Kittchen mit.

Doch dann bist Du zweifelsohne

Anteil einer Minderheit,

die den Aufwand gar nicht lohne,

Ausdruck großer Kindlichkeit.

.

Denn das wissen wir doch heute:

Bauen wir kein Kernkraftwerk,

bleibt die heiß geliebte Heimat

wirtschaftlich ein Gartenzwerg.

„Dann“, so sagte unser Kanzler

Schmidt und hob die rechte Hand,

„gehen rasch und ohne Zögern

Lichter aus in unserm Land!“

.

Zwar hat längst die Zeit gezeigt,

daß die Lampen diesem trotzten,

doch es sitzen noch im Knast,

die einst auf ‘nem Sternmarsch motzten.

Ja, wir sind ein Volk der Zahlen,

Rechnen unser Zwang;

zwischen Plus und Minus kriecht‘s

Leben seinen Gang

.

Zahlen, Fälle, Fakten sind

auch die Rauschgift-Toten.

Doch ist‘s nicht der Sinn des Staates,

Gründe auszuloten.

Hierfür gibt es ja ein Amt,

das sie zählt, die Leichen.

„Knappe Tausend dieses Jahr,“

meint man dort ausweichend.

.

Und gefragt, warum, sagt einer:

„Tja, das ist doch sonnenklar!

Hätten Sie‘s Gesetz beachtet,

lebten sie noch: s‘ist doch wahr?!

Rauschgift steht dick unter Strafe,

das weiß schließlich jedes Kind.

Also haben‘s nur genommen,

die Gesetzesbrecher sind.“

.

Der gute Mann kann nicht erwähnen,

denn hierfür sind die Zahlen rar,

daß Alkohol, das Gift der Gifte,

als Steuer unverzichtebar.

Echte Kohle wird auch bringen

blauer Dunst mit Nikotin:

„Lunten schaden der Gesundheit!“

Hier die Steuer – wo der Sinn?

.

Achtundachtzig Komma sieben

Prozent der Bevölkerung

brächten, wenn sie fleißig wären,

unsre Wirtschaft auch in Schwung.

Der letzte albern kleine Rest

Individualistik

stört doch eigentlich auch nur

unsere Statistik.

.

Bist Du nicht als Zahl zu brauchen,

sagst Du nur „Vielleicht?“

oder gar „Ich will nicht kuschen!“

hast Du nichts erreicht.

Dann lernst Du Gesetze kennen,

paragraphenschwer:

dann lernst Du den Staat erst kennen

und es geht nichts mehr.

.

Denn von Kindesbeinen an

lernen wir das Schweigen.

Und das Gros der Anpassung

tanzt den großen Reigen.

„Halt die Schnauze, guter Mann,

willst Du überleben;

pure Existenz sei Ziel,

klaglos anzustreben.“

.

Denn in diesem Meer an Gleichem,

Ozean der Stimmen,

stirbt jedes Ideengut,

schweigt sich aus der Wille.

Stumm sehn Dich Gesichter an,

blickst Du in die Runde.

Staat, es geht Dich an, was Du

hörst aus stillem Munde.

.

Denn wir alle sind der Staat,

nie sollst Du‘s vergessen!

Nie darfst Du im Traume nur

Dich mit uns je messen.

Selbstzweck bist Du nie gewesen,

nie ein Ding für sich.

Glaubst Du‘s trotzdem, dann bist Du

wirklich liederlich!

***

*) der damalige Chef des Arbeitsamtes (heute „Arbeitsagentur“)