Gisa, 2. Februar 2018
Bochnik, Die mächtigen Diener, rororo, Dissertation, S. 90 ff:
— Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts geschah die Verfolgung der Frau in der Heilkunde uneinheitlich; sie beschränkte sich im Wesentlichen auf verbale Hetze und das Verbot für Frauen, zu studieren[1]. Einzelne Hexenverbrennungen kamen auch vor.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts jedoch gewinnt der Angriff gegen die Frau eine neue Qualität: Man versuchte, die Gruppe der heilkundigen Frauen zu spalten. Denen, die sich unterordneten, wies man einen gewissen, genau abgesteckten und kontrollierten Handlungspielraum zu, der ihnen noch durch städtische Bezahlung[2] und Revierschutz schmackhafter gemacht wurde. Dies waren im Wesentlichen die Hebammen, die zum „Amt“ zugelassen wurden. Bei den anderen, die sich nicht den Regeln und neuen Autoritäten beugen wollten oder konnten, wurde der systematische Rufmord bald mit der physischen Liquidierung (Verbrennung) verbunden.[3]
(Eigentlich) verstand sich die Hebamme … als Verbündete der Frau; sie war Helferin in Notsituationen, sei es Geburt, Schwangerschaftsverhütung, Abtreibung oder Krankheit. Zwischen beiden stand keine Berufsordnung, kein Arzt, keine Rechenschaftspflicht gegenüber irgendwelchen Vorgesetzten. Erst mit den neuen Hebammenordnungen wurde die Hebamme ein Organ der öffentlichen Rechtspflege. Was sie zu tun und zu lassen hatte, wurde ihr vorgeschrieben, nicht mehr das Interesse der hilfesuchenden Frau bestimmte ihren Arbeitsauftrag…
In allen Erlassen wird, einer Forderung des „Hexenhammers“ folgend, festgestellt, dass nur die bestellte Hebamme und keine andere Person geburtshelferisch tätig sein darf. Diese musste ehrbar, christlich, guten Rufes, gesund, etwas älter, verheiratet oder verwitwet und selbst Mutter sein. Diese Anforderungen sollen von vornherein die „abergläubischen weisen“ Frauen ausschließen…
Disziplinierung der Hebammen bei unehelicher Empfängnis: „Begeb es sich auch, dass sie zu Weibern gerufen werden, die außerhalb der Ehe empfangen haben, so sollen sie ein solches alsbald anzeigen… , so soll sie mit Fleiß erfahren, wie die Kindsmutter heißt, wer des Kindes Vater sei… Dieses soll der Obrigkeit angezeigt werden, die das „Übel und Unzucht nach Gebühr“ strafen soll…“[4] Mit Fleiß und Mühe soll die Hebamme dem Verdacht der Abtreibung nachgehen… — (Zitat Ende)
Damit wird das Bevölkerungsregulativ des Schwangerschaftsabbruches unterlaufen. Frauen müssen gebären, ob es ihnen gefällt oder nicht. Auch dann, wenn absehbar ist, dass sie das Kind nicht ernähren können. Da der 30jährige Krieg sowie die Pest viele Menschen vernichtet hatte, mussten nun wieder Arbeiter und Leibeigene her, die als Sklaven und Soldaten das Land überfüllten. Menschen waren zum Besitz geworden. – Mit der simplen Methode der Geburtenkontrolle.
Frauen werden damit von all ihren Möglichkeiten getrennt. Sie können nicht mehr Heilerinnen, Beraterinnen und Vertraute sein. Sie müssen christlich-katholisch sein, können also nicht mehr auf die überlieferten Weisheiten der ursprünglichen Völker zurückgreifen. Sie dürfen den Ärzten nicht mehr ins Handwerk „pfuschen“. Und sie sollen als „Organ der Obrigkeit“ schwangere Frauen kontrollieren.
Es ging nicht spurlos an der Menschheit vorüber
All dies hatte Auswirkungen, die durch die Ärzte, die sich die Macht in der Geburtshilfe angeeignet hatten, mangels praktischer Kenntnisse zu vermehrter Müttersterblichkeit, Totgeburtsanhäufungen, starker Säuglingssterblichkeit führten. Soweit das statistisch erfassbar ist:
Es erreichten das 15. Lebensjahr:
- 16. Jh. = 70,1 %
- 17. Jh. = 61,7 %
- 18. Jh. = 67,7 %
Bis zur Verfolgung der weisen Frauen und Hebammen erreichten offensichtlich mehr Menschen dieses Alter.
Sterblichkeit:
Müttersterblichkeit:
- 16. Jh. = 2,7 %
- 17. Jh. = 3,43 %
- 18. Jh. = 5,54 %
- 19. Jh. = 6,0 %
Totgeburten:
- 16. Jh. = 1,1 %
- 17. Jh. = 3,2 %
- 18. Jh. = 3,6 %
- 19. Jh. = 4,0 %
Neugeborenen-Sterblichkeit, 1. Tag:
- 16. Jh. = 2,7 %
- 17. Jh. = 3,3 %
- 18. Jh. = 2,9 %
- 19. Jh. = 2,9 %
Neugeborenen-Sterblichkeit 8.-30. Tag:
- 16. Jh. = 0,9 %
- 17. Jh. = 2,1 %
- 18. Jh. = 1,5 %
- 19. Jh. = 2,1 %
Kleinkindsterblichkeit 2. – 5. Lebensjahr:
- 16. Jh. = 7,7 %
- 17. Jh. = 12,3 %
- 18. Jh. = 13,3 %
- 19. Jh. = 10,5 %
Kindersterblichkeit 5. – 10. Lebensjahr:
- 16. Jh. = 3,7 %
- 17. Jh. = 3,8 %
- 18. Jh. = 6,1 %
- 19. Jh. = 5,3 %
Bis zur Verfolgung der weisen Frauen und Hebammen war die Leistung der Hebammen und Frauen offensichtlich besser als das, was mit der Reglementierung durch Schulmedizin und Ärzten später erbracht wurde.
Die Hebammen ab dem 17. Jh. verdienten dabei nennenswert weniger, denn sie mussten für dieselbe Summe Geld, die ein Arbeiter erhielt, die 6,5fache Arbeitszeit aufbieten. Hebammen waren also gezwungen, mit Nebentätigkeiten ihren Lebensunterhalt zu sichern. Auch daran hat sich nicht wesentlich viel geändert. Freien Hebammen wird der Beruf durch Zwangsabgaben (Haftpflichtversicherung) das Leben von ihrer Tätigkeit unmöglich gemacht.
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Fußnoten:
[1] Universitäten waren kirchlich.
[2] Ärzte legten darauf viel Wert, denn sie arbeiteten, um reich zu werden.
[3] Fußnoten und Klammern sind von mir hinzugefügt.
[4] Daran hat sich bis heute nichts geändert.