Gisa, 13. Februar 2016
Kluge Frau, im Wald / angrenzenden Gebiet wohnend, die mit Kräutern, Heilkunde und Seelsorge befasst war.
Ich versuche, mit diesem durch Hexenhammer und Hexenverfolgung negativ belegten Begriff umzugehen und seinen Ursprung zu ermitteln.
Hexe – hagazussa → Häzisse → Hägesse
- hagr = klug, verschmitzt
- zussa = ältere weise Frau
Hag – Hecke – Hagedorn. „…in einem Durcheinander von einander durchwachsenen Büschen von Hagedorn (Weißdorn), Esche und Birke…“ (Immermann Münchh. 3, 113)
Hier ist Hagedorn (Hagdorn, Hagendorn) der Weißdorn, ein herzwirksamer Busch. Im übertragenen Sinne bedeutete Hag auch Landgut, Feld, Flur, Garten, Vorwerk. Im Gegensatz zu Grimm muss die Hagazussa nicht schädigend sein (bei Grimm wird vermutlich immer per se das „böse Weib“ angenommen); es kann auch die Frau sein, die mit diesen Bereichen gut und für die übrige Bevölkerung nützlich umgehen kann (Heilkunde). Wir müssen dabei im Auge behalten, dass durch die Zeit der Hexenverbrennung und dem Hexenhammer die Vorstellung vom „bösen Weib“ erzwungen wurde. Hagazussa war die Bezeichnung für „Zaunreiterin“. Sie ist damit die örtliche Schamanin / Heilerin, die Hebamme und weise Frau. Sie wird ursprünglich die Priesterin der Großen Göttin gewesen sein, denn gleich den SchamanInnen in anderen Kulturen verstand sie die Hintergründe von Kranksein und seelischen Problemen. Heute würden wir dies vielleicht als Coach + Heilerin bezeichnen.
Die Hexenverfolgung und -verbrennung wurde in einer Zeit angestrebt, als sich die christliche Kirche im „heiligen römischen Reich deutscher Nationen“ nicht ausreichend durchsetzen konnte gegen keltischen und anderen Volksglauben. Da es nicht möglich war, mit friedlichen oder gar überzeugenden Argumenten die Herrscher-Religion durchzusetzen, griff der Dominikaner Heinrich Kramer die Idee einer „bösen Hexe und Zaunreiterin“ auf, die Unglück über Feld, Ernten und Menschen brachte, um gegen „Hexen und Zauberer“ vorzugehen. Damit eröffnete er die Inquisiton. Somit betraf seine Jagd (legitimiert u.a. vom Bistum Köln) eben jene weisen Frauen und Männer, die mit ihrer Vorstellung von Natur, Großer Göttin und Schöpfung eine natürliche Heilkunde praktizierten. Für damalige Menschen waren heilige Haine wichtiger als Kirchen, Münster und Dome, die bedrohlich wirken. Mit diesen Weisen wurde die Heilkunde ausgerottet (Trier musste Frauen importieren, um sich fortpflanzen zu können, denn die Trierinnen waren sämtlichst ermordet worden). In Folge dessen richtete die röm.-kath. Kirche dann Institute ein, an denen theoretische „Ärzte“ ausgebildet wurden, die ohne jede Grundkenntnis diesen Job übernehmen sollten. Das einzige, wovon solche „Mediziner“ etwas verstanden, war die Arbeit des Feldschers, des Chirurgen, der im Kriegsfall die Verletzten wieder zusammenflickte. Heilkunde war und ist bis heute nicht sein Thema.
Jedem Herrschaftssystem ist daran gelegen, Frauen aus der Gesellschaft als ernstzunehmen Faktor auszugrenzen, um damit jede Mitsprache zu vermeiden. Andernfalls wäre jede Machtausübung einzelner dominanter Herrscher ausgeschlossen. Deshalb kursierten solche Aussprüche von Seneca, mit denen diese Unterwerfung begründet wurde:
„Anführerin bei den Übeltaten aber ist die Frau;
in Verbrechen ist sie Künstlerin.“
(„Sed dux malorum femina: haec scelerum artifex.“)
– Phaedra 559 / Hippolytus
Sinngemäß jedoch hatte Seneca allerdings einmal gemeint: „Welch ein Glück, dass Frauen in unserer Gesellschaft keine Rechte haben, denn sonst wären sie uns haushoch überlegen.“
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Historisches
Im Beginn des letzten Jahrtausends (ab 1000 u.Z.) wurde die Heilkunde in ländlichen Bereichen nördlich der Alpen meist von den Bäuerinnen und in schweren Fällen von der Herbaria (lat. Pflanzenheilkundige) oder Hagazussa betrieben. Diese Frauen verstanden sich besonders auf die Heilkraft der Kräuter, Wundversorgung und „Magie“ (Seelsorge). Diese Magie beruhte auf der alten germanischen Vorstellung, dass die gesamte Natur „begeistert“ sei und jedem Wesen, jeder Form und Erscheinung der Natur ein spezieller Geist … innewohne. Dieser musste beschworen werden zu helfen … oder zu weichen. Selbst als sich das Christentum zumindest formell durchgesetzt hatte, überlebte der ältere Volksglaube in dieser Form, da die Heilkraft der Pflanzen durch die Geister erklärt wurde.
Die Annahme, dass jeder Naturerscheinung, also auch jeder Pflanze ein eigener „Geist“… zugrunde liege, erforderte die genaue Beobachtung, die unvoreingenommenen Versuche, weil die Wirkung einer Heilpflanze nicht aus einer irgendwie gearteten, schon bekannten „Wahrheit abgeleitet werden konnte, sondern in ihrer Einmaligkeit erkundet werden musste. Der Respekt vor dem „Geist“ erforderte, ihn in seiner Einmaligkeit zu beachten. Von daher ist der Geisterglaube eine gute Voraussetzung für eine solide Empirie: Eine gefundene Wirkung wird magisch interpretiert, die Anwendung der Heilkraft einer Pflanze setzt die Anrufung ihres Geistes voraus, ersetzt die Anwendung jedoch nicht.
Erst das grauenvolle Postulat der Unfehlbarkeit, des Anspruchs, im Besitz der umfassenden „Wahrheit“ zu sein, ermöglichte es, die Empirie zu verlassen, ja erforderte es geradezu. Denn wenn es eine unteilbare – katholische – „Wahrheit“ gibt, so ist aus ihr alles ableitbar; was dieser Ableitung widerspricht, muss irrig sein, weil es nur eine Wahrheit gibt. Wenn also ein Phänomen dieser „Wahrheit“ offensichtlich widerspricht, so ist das Phänomen ein Trug, eine Gaukelei des Teufels, auf den der Mensch mal wieder hereingefallen ist; hier sind die Agenten der Dämonen, des Teufels, nämlich die Hexen am Werk.
Der Respekt vor der Individualität jeder Lebensform wird (durch die Schulmedizin) zerstört.
An seine Stelle tritt die „göttliche Wahrheit“, die allen anderen Werten überlegen ist. Die Erscheinungsformen des Lebens werden nur noch so lange geachtet, wie sie deutlicher Ausdruck jener „Wahrheit“ sind: Sie stellen keinen Wert an sich mehr dar. Die Verachtung des Lebens kann so ihren theologisch abgesegneten Ausdruck auf dem Scheiterhaufen finden.[1]
[1] Zitat: Bochnik, Die mächtigen Diener, rororo