Unser Problem mit der neuen angestrebten Gesellschaftsform, in der Mann und Frau gleiche Rechte haben, liegt darin, dass wir damit noch überhaupt keine Erfahrung haben. Uns fehlen Vergleichswerte. Das war noch schlimmer, als ich vor Jahrzehnten in die Mutterrolle schlüpfte, denn ich bin aus der 68er Generation, die hier völliges Neuland betrat. Bei meinen Vorfahren stand noch fest, dass der Mann seine Familie ernährte und die Frau eigentlich zu Hause zu sein hatte. Okay, Frauen hatten nach dem Krieg die Trümmer weggeräumt und bewiesen, dass sie sehr wohl alles auch aus sich heraus handhaben konnten; schließlich waren tausende Männer in Kriegsgefangenschaft oder gefallen. Aber es war die Generation, in der es für möglichst viele Kinder noch einen Mutterschaftsorden gab und meine Tante mit ihrem Lehrer-Studium an der Hamburger Uni noch die erste Frau war, die da als Studentin rumlief und wie ein Paradiesvogel gehandelt wurde. So gab die Frau der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, gut unterstützt durch sämtliche Werbemaßnahmen, bei denen sie am Herd oder an der Waschmaschine stand, ihre Kompetenz gleich wieder an den neu erstandenen Mann ab, sobald er wieder auftauchte.
Aber diese Leistung der Frau hatte Spuren hinterlassen und wir haben ein neues Grundgesetz, nach dem der Frau im Großen und Ganzen doch einige Rechte mehr zugestanden wurden als bisher. Diese Frauen erzogen meine Generation, die dann in den 68er Jahren des letzten Jahrhunderts auf die Straße gingen, um für ihre Selbstbestimmung zu demonstrieren. Recht erfolgreich, denn „mein Bauch gehört mir“ und meine Berufswahl und –ausübung auch waren Rechte, die wir erstritten haben.
Nur bringt das nicht automatisch Erfahrung mit den neuen Gegebenheiten mit sich. Wir mussten sie erst machen.
Dass Kinder Betreuung und Begleitung brauchen, die ihnen handfeste Geländer liefern, an denen sie entlanggehen können, um erwachsen zu werden, fanden wir erst im Laufe der Zeit heraus. Dass dies nur dann effektiv ist, wenn diese Begleitung liebevoll und verzeihend, aber auch regelnd ist, fanden wir auch erst ganz langsam heraus.
Es gab eine unendliche Zahl „schlauer“ Bücher, die uns erzählen wollten, dass wir – egal was wir machten – alles falsch angefasst hätten. Es gibt sie bis heute und sie verbiegen die inzwischen in Kleinfamilien isolierten Mütter und Väter zugunsten von Menschen, die dauerhaft mit einem schlechten Gewissen durch die Welt laufen. Denn eines ist nicht passiert:
All die Veränderungen im zwischenmenschlichen Bereich haben noch nicht zu Strukturänderungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbau geführt. Wir wissen zwar inzwischen, dass von Frauen geführte Betriebe hocherfolgreich sind, trotzdem hat die Frau noch nicht wirklich Einzug in die Chefetagen gefunden. Sie kann dies auch nur mit größten Schwierigkeiten, denn die mütterliche Begleitung und Betreuung ruht nur auf ihren Schultern, behindert von mangelnden Kita-Plätzen und einem Schulsystem, dass sie zwingt, mittags wieder zu Hause zu sein, um das eigene Kind mit familiärer Unterstützung begleiten und betreuen zu können.
Unter diesen Bedingungen sitzen Mütter zwischen Baum und Borke. Alle bisherigen Erfahrungen stehen ungenutzt und bedrohlich hinter ihnen. Das schlechte Gewissen wird frei Haus mitgeliefert. Der Mutterinstinkt wird missbraucht.
Eibl-Eibesfeld hat schon in den 60er und 70er Jahren*) auf das Kindchen-Schema aufmerksam gemacht: Guckt uns, egal ob Mann oder Frau, ein Kind an, das sich selbst nicht versorgen kann, reagieren wir sofort mit Eltern-Gefühlen und übernehmen den Job. Es spielt dabei wirklich kaum eine Rolle, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Wir re-agieren!
Das ist der eine Teil des sogenannten Instinktes. Der zweite ist dieser: 9 Monate lang ruht das werdende Kind unter dem Herzen der Mutter, stetig mit dem beruhigenden Geräusch des Bum-bum-bum versorgt. 9 Monate Konditionierung. Diese spezielle Art des Bum-bum-bum signalisiert Schutz und Versorgung. Wenn nach der Geburt das Kind auf der Brust der Gebärenden liegt, tritt nach dem Geburtsschock sofort wieder die erlebte Ruhe ein. Dann quillt obendrein weitere 1-2 Jahre die nahrhafte Milch per Lutschen und Saugen aus eben dieser Brust – das macht das kindliche Leben rund (und Männer träumen ein Leben lang davon, wieder an diese Brust zu dürfen –> Prägung hoch 10). Das ist der zweite Teil des Mutterinstinktes.
Von nun an bedarf es der liebevollen und behütenden sowie ernährenden Gruppe, um zu gewährleisten, dass das Kind die Pubertät heil und gesund erreicht. Im Kern ist die Mutter sowohl behütend, beschützend und ernährend – 3 Jahre lang, dann wird sie austauschbar. Dann kann JEDES Familienmitglied ALLE Rollen mittragen. Den männlichen Part kann der Vater, der Onkel oder der Bruder übernehmen. Hierfür gibt es keine naturgegebenen Vorgaben (außer der, eine Vergewaltigung zu verhindern; die aber auch in unserer Gesellschaft glatt von engen Familien-Männern getätert wird).
Was also ist unser Problem?
- Die zu kleine Familie, die letztlich der Mutter auch nach den o.g. 3 Jahren alle Pflichten auferlegt.
- Der Dauerverzicht hinsichtlich sämtlicher eigenen Bedürfnisse, deren Deckung sie stark für die geforderten Leistungen machen würde.
- Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur, die Frauen, wenn überhaupt, nur mit max. 75 % Verdienst ausstattet, falls sie sich auf den öffentlichen Arbeitsmarkt begibt; auf dem sie nur dann Erfolg hat, wenn sie als „gelernter Mann“ agiert (also in den vorgegebenen Grenzen und patriarchalen Betrachtungswinkeln).
- Fehlenden Versorgungseinheiten wie Kita etc., die sie zwingen, zwischen Beruf und Familie wie ein Irrwisch hin und her zu flippen.
- Die mangelnde Anerkennung ihrer Leistung, die in einer Minimal-Rente gipfelt, abgeleitet aus „fehlenden“ Arbeitszeiten bzw. massiv reduzierten Witwenansprüchen.
- Und das Dauer-schlechte-Gewissen, das sie in jeder Hinsicht manipuliert.
Gleichberechtigung ist nicht Gleichmacherei. Emanzipation nicht nur der Job der Frau. Wirklich ausgewogen wäre eine Gesellschaft nur dann, wenn Frau und Mann vergleichbare Chancen hätten, die auch von beiden Seiten gestaltet würden. Einseitige Belastungen, abgeleitet aus dem „das habt ihr doch so gewollt“ ohne Veränderung der Lebensbasis haben damit überhaupt nichts zu tun.
Wenn wir also ein neues Lebensmodell anstreben wollen, dann sollten wir immer wieder darüber nachdenken. Auch das Jiantia-Modell einer matristischen Lebensbasis schildert wichtige Aspekte, aus denen wir lernen können. In jeden Fall aber sollten wir aufhören, das Liebesleben mit dem Wirtschaftsmodell „Familie“ zu verwechseln. Das Eine hat mit dem Anderen überhaupt nichts zu tun. Es ist nur in einem Patriarchat (als Herrschaftsmodell verstanden) nützlich: beide Geschlechter lassen sich auf diesem Wege hervorragend manipulieren, wie wir tagtäglich leidvoll erfahren müssen.
Die Spaltung hat also System = sie erreicht, dass man und frau sich nicht entfalten können = Erhalt der alten Strukturen, wenn wir nur geduldig warten.
*) Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe und Hass, Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen, Piper-Verlag, ISBN 3-492-01809-2