Gedanken zur nordischen Mythologie

Gisa, März 2010
Finden sich hier Relikte des uralten Mutter-Glaubens? Gedankenfetzen

Egal, wo eine Schlange vorkommt – sie ist negativ besetzt:

Midgard-Schlange (Jörmungand): Sie ist eine Tochter des Loki und der Riesin Angerbode, von welcher der böse Ase noch den Wolf Fenris und die blaue Hel zu Kindern hatte. Die Midgard-Schlange wurde von Odin / Wotan bekämpft und in / unter das Eis katapultiert, um sie unschädlich zu machen, Hel wurde Chefin des Totenreiches (aber nur der Toten, die keine berühmten Kämpfer waren) und Fenris wurde in Ketten gelegt, um ihn zu binden und „umzuerziehen“.

Nidhögg: Sie nagen an den Wurzeln des Weltenbaumes Yggdrasil. Nithhauggr – Große Schlange unter der Esche Yggdrasil, Nithhauggr bedeutet gierig, neidisch, nagend. Ihr anderer Name ist Störhögg (Stark-Hauer).

Ursprünglich ist die Schlange ein Heil(er)symbol und gehört zur Schamanischen Heilfürsorge. Die germanischen Schlangen teilen dieses Schicksal mit der biblischen / Thora: auch hier gilt sie als Verführerin, die mit (Idunas?) Apfel den Rauswurf aus dem Paradies erreichte.

Apropos Apfel: es scheint egal zu sein, ob mediterran oder nordisch; der Apfel steht für ewige Jugend und Weisheit.

Interessant ist auch, dass die Midgard-Schlange unter das Eis (des Weltenmeeres) geschleudert wird. Das Meer ist in allen Mythologien analog zu Kosmos und Schöpfung zu verstehen. Sie kehrt also an ihren Ursprung zurück.

Die Riesin Angerbode gehört zum Riesengeschlecht (Reifriesen, Wanen, Joten), das schon vor den Göttern da war. Hier sind also am ehesten Ursprünge zu finden. Nur den Hammer (Waffe) fürchten sie; sie müssen also mit Krieg und Okkupation überzogen worden sein; von Eindringlichen, die sich Asen nannten.

Begleiter der Frau sind seit altersher der Rabe (schwarz) und der Wolf (heute Hund) Fenris. Letzterer wird von Odin gefürchtet, da der Ase weiß, dass dieser im Rahmen der Götterdämmerung (Untergang der Asen) seinen Teil dazu beitragen wird. Ähnliches siehe Midgard-Schlange. Die Jagd auf den Wolf und seine Fast-Ausrottung haben also schon sehr alte Wurzeln.

Hölle, Höhle – Hel ist das dritte Kind der Angerbode. Sie kommt durch ihre Verbannung in die Hölle. Hölle leitet sich von Höhle ab – einem verhältnismäßig geschützten Raum, der allerdings ohne künstliche Beleuchtung dunkel ist. Damit wird assoziiert: Dunkelheit = schlecht (Dunkel- und Nachtelfen / -eiben/ -elben /-alfen = gefallene Engel). Wesen, die sich hier aufhalten, haben keine Zukunft und müssen als „schlecht“ verstanden werden. Da sich annähernd alle Mythologien, die patriarchal strukturiert sind, am Licht als Heilsbringer orientieren, ist alles, was „dunkel“ heißt synonym zu „schlecht“. Also alles, was mit den Augen nicht wahrgenommen werden kann, muss somit verdammt sein, mindestens aber bedrohlich und in jedem Fall abzulehnen. Damit ist auch jede unterbewusste Regung, jedes un(ter)bewusste Handeln notwendig schlecht, denn das liegt ja im Dunkeln. Hier springt prompt alles in einen Automatismus: nur hellerleuchtete Städte sind akzeptabel. Der Dunkelmond / Neumond ist ganz besonders schlecht; der Mond allgemein natürlich auch, denn er ist schließlich nur während der Nacht in seiner Ausstrahlung spürbar; sein Licht bringt wenn überhaupt ausschließlich eine Schwarz-Weiß-Wahrnehmung hervor. In diesem Zusammenhang: Fenris jagt den Sonnenwagen von Sonnenaufgang bis -untergang über den Horizont. Damit ist auch Fenris ein Dunkelgeschöpf.

Alle Symbole der Großen Mutter sind in der nordischen Mythologie entweder eleminiert, negativiert oder auf männlich umgedeutet worden. Dieses Verfahren wurde auch im Christentum erfolgreich eingesetzt.

Die Walküren: Es sind Kriegerinnen, die gefürchtet wurden. Also mussten sie umerzogen und mit neuen Aufgaben betraut werden. Sie wurden zu Dienerinnen Odins, die auf dem Schlachtfeld die gefallenen Helden auswählten (Wal…) und nach Walhalla (in die Halle der Auserwählten) brachten, damit sie in der Götterdämmerung für Odin kämpfen konnten. Wal steht vermutlich für Wahl, küren ist bis heute erhalten und bedeutet auswählen, die Helden wurden auserkoren. Alle anderen kamen zu Hel, denn sie waren ja keine stolzen männlichen Exemplare (aber wahrscheinlich recht gute Ehemänner). Damit litt auch der größte Teil der männlichen Bevölkerung unter der postjotischen Herrschaft.

Blut: Wenn ein Mann blutet, ist das in allen Fällen riskant bis tödlich. Wenn eine Frau blutet, ist das normal und Signatur dafür, dass in ihr das Leben heranwachsen kann. Also müssen Männer das Blut fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Damit aber fürchten sie auch die Frauen, die mit Blut offensichtlich erfolgreich umgehen können. Alles, was diesem Blut entstammt, wird deshalb mit Argusaugen betrachtet.

Die Nornen: Göttinnen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Interessanterweise sind dies weibliche Gottheiten (auch im mediterranen Raum). Sie schöpfen ihr Wissen aus Bereich, die dem Auge nicht zugänglich sind (Unterbewusstsein?). Damit sind sie gefürchtet.

Alle anderen Göttinnen sind Helferinnen männlicher Götter. In den meisten Fällen sind sie das Ergebnis einer Kopfgeburt oder sie wachsen irgendwo unter dem Arm hervor. Nur selten, wie bei Idun(a), gibt es keinen Ursprung; sie sind dann einfach da. Die Jobs, für die sie stehen, sind entweder Fruchtbarkeit oder Heilfürsorge. Dirigistische Aufgaben werden ihnen nicht zugebilligt.

Resümee

Alles, was reduziert, verunstaltet oder unterworfen worden ist, muss Qualität der Urmutter sein.

Iduna könnte als „Jungfrau“ verstanden werden. Als die junge Frau, die der Kindheit entwachsen beginnt, mit ihrer Lebenskraft und ihrem Schwung die Welt zu erkunden. Sie ist diejenige Göttin, die aus dem Zeitenablauf heraus Kinder in die Welt setzen kann. Sie ist wie das Frühjahr, das die ersten Pflanzen entdeckt, die ersten Blüten ersprießen lässt, die erste Wärme durch das Leben fluten lässt. Als Göttin des Frühjahrs und der Kraft des Immer-Grünen birgt sie auch die Potenz, Früchte (aus)zutragen.

Ungebunden kann sie die Welt erobern. Als Ratgeber stehen ihr Weisheit und Dichtkunst zur Verfügung. Dichtkunst war hoch angesehen, denn eine Geschichte wurde immer als heilsam verstanden. Dichter waren die Nachrichtenträger, waren die Weisen mit dem Überblick. Dichtkunst und Weisheit waren also unisono.

Sie muss eine starke junge Frau sein, wenn ihr Schönheit und latente Dummheit (Verführung von Loki, Raub durch den Riesen) nachgesagt werden. Sie ernährte die Götter und den Weltenbaum Yggdrasil. Sie war die Ursubstanz, aus der heraus alles blühen und gedeihen konnte. Wenn sie dann als alte Frau Hel in der Unterwelt besucht, stirbt das Leben (Götterdämmerung) und Eis bedeckt die Welt.

Diese gesamte Entwicklung zeigt, dass Idun nur ein Aspekt der Großen Göttin ist. Denn im Ablauf ihres Lebensrhythmus wird sie auch als Ernährerin (Mutter) und alte Frau (Aufenthalt bei Hel) geschildert.

Der Idun-Aspekt jedoch zeigt, dass wir mit dem Verlassen der Kindheit unsere eigenständigen Schritte in die Welt machen wollen. Er zeigt, dass wir eigene Erfahrungen brauchen (und nicht auf das dumme Gerede von Loki reinfallen sollten), um eigene Stabilität in der Welt (Yggdrasil) zu erwerben. Unsere nächste Aufgabe wird sein, unsere Kinder zu ernähren (die Asen). Darauf wollen wir gut vorbereitet sein.

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Idun (lat. = Iduna, Bedeutung: Immergrün) gilt als die lieblichste unter den weiblichen Asen: also ist eine Frau dann gut, wenn sie auch schön ist (damit klärt sich aber auch ihr Job: sie soll erfreuen – das reicht)

Sie steht für Unsterblichkeit: Damit reflektiert sie den weiblichen Auftrag, Leben zu gebären. Dem Erfreuen folgt also dann der zweite Job: Kinder kriegen.

Sie ist von Anfang an da: sie selbst ist also die Urmutter.(  Nach jüngeren Dichtungen soll sie die jüngste Tochter eines Zwergs sein. )

Verheiratet ist sie mit Braga, dem Gott der Dichtkunst und der Weisheit: in alter Zeit sind die „schönen Künste“ sicherlich Teil der sozialen Gemeinschaft gewesen. War für Essen und Trinken, Behausung, Wasser und Wärme gesorgt, so konnte man seine Zeit auch mit dem verbringen, was der menschlichen Entwicklung dienlich ist: Gedanken und das Erfassen von Zusammenhängen. Dieser Ehemann passt aus meiner Sicht hervorragend zur Urmutter.

Sie hütet das Symbol, was für Weisheit und Ewigkeit steht: den Apfel. Schon im christlichen Paradies gilt er als die Frucht, die Erkenntnis bringt, verbunden mit ewiger Jugend. Da auch (männliche) Götter ein Viagra der Altzeit brauchten, hatte sie eigentlich eine Schlüsselstellung. Sie sorgte täglich für die Versorgung ihrer Kollegen, war also für Essen und Trinken zuständig. Davon kann sie auch der Riese und Zauberer Thiassi nicht bewahren, der sie entführt hatte. Er unterliegt den Tricks und Ränken von Loki.

Apfel: da Äpfel nicht zum botanischen Bestand nordischer Reiche gehörten, könnte es sein, dass dieses Symbol bei Übernahme des Urreiches von den Einwanderern in Erzählungen mit gebracht wurde. Möglicherweise waren diese vom gleichen Stamm wie diejenigen, die für die Schaffung der Bibel  zuständig waren (Kleinasien, Hetiter?). Die Urmutter ist insofern evtl. „umfirmiert“ worden zu einer Göttin, die jetzt für Frühjahr und neue Aussaat stehen konnte.

Idun tränkt außerdem Yggdrasil, den Weltenbaum, mit lebensspendendem Met. Ohne diesen werden die Blätter welk und das goldene Zeitalter der patriarchalen Götter droht in der Dämmerung unterzugehen, denn Idun hat sich von Yggdrasil gelöst und sinkt in die Unterwelt (zu Hel).

Idun lebt auf Brunnenfeld, hier befindet sich der alles belebende Jungbrunnen.

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